Codename Emil!

Kästner und der kleine Dienstag – Ein Film für die Gegenwart!

Ja, der Film hat mich begeistert und bedrückt hinterlassen. Niemals zuvor konnte ich so intensiv in die Atmosphäre der 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts eintauchen.

Die goldenen 20er Jahre in Berlin – die sicherlich nicht für alle golden waren. Aber welche Jahre sind das schon? Die Intellektuellen, die Kunstschaffenden und die sich für Förderer der schönen Künste hielten kosteten die 20er Jahre vollkommen aus.

Dann kamen die 30er und es war schnell aus mit der Party. Nachdem schon einige Regierungen ergebnislos neu gewählt wurden, nahmen viele die Nazis nicht ernst und waren der Ansicht, dass die vielen Fackelzüge und die leidenschaftlichen Reden nur ein kurzes Phänomen sein würden. Nur das Phänomen blieb länger, zwar keine 1000 Jahre, aber es reichte um unsere Welt Nachhaltig zu verändern.

Die Atmosphäre im Film ist sehr gut angekommen. Ich spürte fast körperlich erst dieses Erstaunen und dann das Unbehagen. Und nachdem alle Instanzen in Deutschland gleichgeschaltet waren, spürte ich auch die Angst.

Der kleine Mann war wieder jemand. Der Deutsche war wieder jemand, vor dem man Angst haben musste. Dabei nahmen die Intellektuellen zuerst nichts Ernst, was Hitler wirklich wollten, sondern dachten, die Party könne ohne sie nicht weitergehen. Aber als auch die Medien, die Gerichte und auch die Bücher – gleichgeschaltet wurden – (was erinnert mich da blos an das heutige Polen und die Türkei?), als den Intellektuellen und Kunstschaffenden klar wurde, dass man sehr wohl ganz gut auf sie verzichten könnte, war es für viele zu spät.

Erst das Unbehagen, dann die Angst. Und dann verlieren alle ihre Denkfähigkeit, nur weil die Pöbler lauter sind als die Denker.

Das haben wir alles überstanden. Und unsere Welt ist nicht mehr vergleichbar mit der damaligen Zeit. Und doch …. schreit heute ein Pöbler vor einem jüdischen Restaurant und prophezeit allen Juden den Tod in der Gaskammer. Und ich fühle diese Atmosphäre der 30er Jahren des letzten Jahrhunderts plötzlich greifbar vor mir und um mich….

Ich bin ein großer Fan von Konstantin Wecker. Sein Lied: „sage Nein“ ist für mich Stellvertretend das Lied für den Kampf gegen dieses Unbehagen. Diesem Lästigen zwicken, was auch heute wieder in Deutschen Parlamenten vertreten ist. Wenn wir nicht aufpassen, entwickelt sich aus diesem lästigen Jucken eine widerliche, großflächige Erkrankung. Deswegen müssen wir umso mehr aufpassen und rechtzeitig aufstehen und Nein sagen!

Niemand konnte sagen, dass sie von nichts gewusst hätten. Alle wussten von den Konzentrationslagern. Alle hatten Angst vor ihrem Nächsten. Dem Nachbarn, aber auch den Menschen in der eigenen Familie, den Verrätern und Denunzianten. Aus unseren Volk wurden lästige Petzer, die viele gute Leben auf ihrem Gewissen haben.

Deswegen sind solche Filme wirklich wichtig. Sie erreichen vielleicht nicht die Dummen, aber vielleicht macht es die leisen Denker endlich zu lauten Menschen.

Absolut Empfehlenswert!

Kästner und der kleine Dienstaghttp://www.ardmediathek.de/tv/Filme-im-Ersten/K%C3%A4stner-und-der-kleine-Dienstag/Das-Erste/Video?bcastId=1933898&documentId=48599470

Besonders eindrucksvoll waren die Szenen in der Schule. Die Hirnwäsche der Nazis reichte vom Kindergarten bis zum Studium. Und die gleichen Lehrer, die Hitler und die Herrenmenschen so verehrten, waren die gleichen Pädagogen, die in den 50er Jahren das neue Deutschland errichteten.

Das Gedicht „Primaner in Uniform“ verfasste Erich Kästner 1930 im Rückblick auf seine Jugend und dem 1. Weltkrieg.

Primaner in Uniform von Erich Kästner

Der Rektor trat, zum Abendbrot,
bekümmert in den Saal.
Der Klassenbruder Kern sei tot.
Das war das erste Mal.

Wir saßen bis zur Nacht im Park
und dachten lange nach.
Kurt Kern, gefallen bei Langemarck,
saß zwischen uns und sprach.

Dann lasen wir wieder Daudet und Vergil
und wurden zu Ostern versetzt.
Dann sagte man uns, daß Heimbold fiel.
Und Rochlitz sei schwer verletzt.

Herr Rektor Jobst war Theolog
für Gott und Vaterland.
Und jedem, der in den Weltkrieg zog,
gab er zuvor die Hand.

Kerns Mutter machte ihm Besuch.
Sie ging vor Kummer krumm.
Und weinte in ihr Taschentuch
vorm Lehrerkollegium.

Der Rochlitz starb im Lazarett.
Und wir begruben ihn dann.
Im Klassenzimmer hing ein Brett
mit den Namen der Toten daran.

Wir saßen oft im Park am Zaun.
Nie wurde mehr gespaßt.
Inzwischen fiel der kleine Braun.
Und Koßmann wurde vergast.

Der Rektor dankte Gott pro Sieg.
Die Lehrer trieben Latein.
Wir hatten Angst vor diesem Krieg.
Und dann zog man uns ein.

Wir hatten Angst. Und hofften gar,
es spräche einer Halt!
Wir waren damals achtzehn Jahr,
und das ist nicht sehr alt.

Wir dachten an Rochlitz, Braun und Kern.
Der Rektor wünschte uns Glück
Und blieb mit Gott und den andern Herrn
gefaßt in der Heimat zurück. 

Und zum guten Ende noch ein weiteres wichtiges, pazifistisches Gedicht von Erich Kästner: Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?  (1928)

Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?

Du kennst es nicht? – Du wirst es kennenlernen.

Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn

in den Büros, als wären es Kasernen.

Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe,

und unsichtbare Helme trägt man dort.

Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe,

und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort.

Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will,

– und es ist sein Beruf, etwas zu wollen –

steht der Verstand erst stramm und zweitens still,

die Augen rechts und mit dem Rückgrat rollen.

Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen

und mit gezog’nem Scheitel auf die Welt.

Dort wird man nicht als Zivilist geboren,

dort wird befördert, wer die Schnauze hält.

Kennst du das Land, es könnte glücklich sein,

es könnte glücklich sein und glücklich machen.

Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein,

und Fleiß und Kraft, und andre schöne Sachen.

Selbst Geist und Güte gibts dort dann und wann,

und wahres Heldentum – doch nicht bei vielen.

Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann,

das will mit Bleisoldaten spielen.

Dort reift die Freiheit nicht, dort bleibt sie grün.

Was man auch baut, es werden stets Kasernen.

Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?

Du kennst es nicht? – Du wirst es kennenlernen.

© Holger Pangritz, 22.12.2017

Das Titelbild habe ich von der ARD Seite entnommen. Es zeigt Kästner (Florian David Fitz, l.) und Hans (Nico Kleemann). Quelle: ARD Degeto / Dor Film / Anjeza Cikopano

Kästner und der kleine Dienstag: http://www.ardmediathek.de/tv/Filme-im-Ersten/K%C3%A4stner-und-der-kleine-Dienstag/Das-Erste/Video?bcastId=1933898&documentId=48599470

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