„Fördern statt Bestrafen“

In dieser Reihe: „das achte Kapitel: Meine Meinung“, versuche ich die Dinge zu ordnen, die mich bewegen und sprachlich und textlich nieder zuschreiben.


Am 8. März war der Internationale Frauentag. Dieses Thema interessiert mich, denn ich sehe – auch wenn es mich nicht persönlich betrifft: Es herrscht immer noch Ungerechtigkeit. Eine Gleichberechtigung ist ernsthaft nirgendwo zu spüren. Weder bei den Gehältern, noch im beruflichen Weiterkommen. Die Glasdecke, die Hillary Clinton durchstoßen wollte, indem sie die erste weibliche Präsidentschaft anstrebte, diese Begrenzung kennen viele Frauen. Leider existiert diese Glasdecke auch bei unseren jungen Menschen, und dort ist es egal ob männlich oder weiblich. Viele von ihnen kennen dieses Gefühl, an einer Stelle zu stehen und nicht weiter zu kommen. Dies gelingt oftmals nur Kindern aus den „richtigen Familien“ oder aus der „richtigen Umgebung“. Es herrscht weder Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, noch zwischen Arm und Reich.

Aber kurz zurück zum Frauentag. Ich durfte im TV zwei Sendungen verfolgen: die Diskussionsrunden bei „Markus Lanz“ und „Maybritt Iller“. Bei Markus Lanz war neben Frau Leutheusser-Schnarrenberger auch Stefanie Brachtel aus Freital zu Gast. Diese Frau beweist uns wie Courage, Standfestigkeit und Würde wirklich geschrieben sein müsste in unserer heutigen Zeit. Männer, gegen diese Frau müssen wir alle einpacken! Kaum einer von uns zeigt so viel Mut wie diese taffe Frau aus Freital – umgeben von einer Mehrheit, die irrationalen Fremdenhass zeigen und rechten Parolen grölen. Solche Menschen vergiften durch ihre Lautstärke die öffentliche Meinung und vertauschen das Richtige mit dem Falschen. Ich bin mir sicher, Frau Brachtel hatte nicht nur einmal Angst um sich und ihre Familie. Und trotzdem ist sie mutiger als viele andere Mitmenschen oder Amtsträger, wie Bürgermeister, Polizisten oder sogar der sächsische Innenminister. Stefanie Brachtel kennt Ihren inneren Kompass, ihre Werte und verliert nicht Ihre Würde. Das hat mich ziemlich beeindruckt! Im Gegenteil dazu ziehen viele Männer ihre Schwänze ein, wenn Sie die angeblich „grölende Mehrheit“ aus sich zukommen sehen.

Ein Satz von Frau Leutheusser-Schnarrenberger bleibt mir im Gedächtnis hängen: „Es ist ein falsches Verständnis der Demokratie, wenn nur die Mehrheit die Deutungshoheit über die öffentliche Meinung haben.“ Insbesondere wenn sie lautstark vertreten wird.

Davor sah ich auch die Sendung: „Maybritt Illner: Streit um die Tafeln – Wenn die Hilfe nicht für alle reicht“. Friederike Sittler hat mir in dieser Runde am meisten imponiert. Sie war mit Ihrer Meinung und deutlichen Sprache sehr inspirierend. Frau Sittler sprach für die Tafeln in Deutschland und ist die Initiatorin von „Laib und Seele“. Sie widersprach oft den Politikern in der Runde, die nur mit Plattheiten versuchten zu argumentieren. Sie hob die Arbeit der „Ehrenamtlichen“ hervor und welchem Druck diese Menschen heute aushalten müssen – und das von allen Seiten. Aus der Politik kommt vielleicht mal ein Schulterklopfen und dabei denken die Verantwortlichen, wie toll es doch sei, dass man die eigene Verantwortung auf die Tafeln und die Ehrenamtlichen abschieben kann.

Aus der Not heraus wurde eine Initiative geboren, die vom Staat als Alibi genutzt wird: Wenn es Dir nicht reicht, dann geh doch zur Tafel. Selbst von Mitarbeitern aus der Arbeitsagentur wird darauf verwiesen, als ob dies eine staatliche Einrichtung wäre.

Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille. Es wird nicht mehr so viel Lebensmitteln in den Supermärkten weggeworfen und die Bedürftigen bekommen auch Obst und Salat – oft in Bioqualität – für Ihre Kinder zuhause. Das ist ein Erfolg – den sich alle, nur nicht der Staat anziehen kann. Frau Sittler verwies aber auf die immer größer werdende Zahl von Alleinerziehenden und Alten, die bei den Tafeln in Deutschland ihre Lebensmittel besorgen müßen.

Gerade Alleinerziehende und alte Menschen stehen eindeutig auf der Verliererseite unserer Gesellschaft. Komisch, das lesen wir so oft, und doch berührt uns das nicht? Ich möchte an dieser Stelle eine Zahl nennen: Es gibt 1,6 Mio. Alleinerziehende in Deutschland (Neun von 10 Alleinerziehenden sind Frauen). Davon müssen 1,18 Mio Aufstocken oder erhalten andere Sozialleistungen.

Unsere Gesellschaft sollte sich Schämen! Aber jetzt aktuell auch noch den einen Verlierer (Ausländer oder Zuwanderer) mit dem anderen Verlierer (Alleinerziehende und Senioren) gegeneinander auszuspielen, ist mies. Die Politik zieht sich zurück und zeigt mit dem Finger auf die Essener Tafel und lenkt aber dadurch von Ihrer strukturellen Verantwortung ab. Ich bin überhaupt kein Fan von Ausgrenzung und einem pauschalen Ausschluss von Bevölkerungsteilen. Das kann definitiv nicht hingenommen werden! Aber es war auch gut so, denn es hat zu einer Diskussion geführt, die schon längst überfällig war, und die die SPD in ihrem Wahlkampf hätte führen müssen. Was bedeutet in Deutschland Armut? Und wenn ich, aus welchen Gründen auch immer, dort gelandet bin, wie komme ich da wieder heraus?

Alle Erfahrungen zeigen, dass die Harz4-Gesetze nur einer Bevölkerungsschicht gedient haben: den reichen Menschen, den Unternehmen und den lieben Banken. Heute bedeutet in Deutschland Harz4 leider nicht „Fordern & Fördern“, so wie es geplant war, sondern nur noch „Fordern & Bestrafung“. Jeder Gehirnforscher wird bestätigen, dass damit genau das Gegenteil erreicht wird. Die Menschen bleiben dort wo sie sind und entwickeln kein Selbstwertgefühl, verlieren sogar Ihren inneren Kompass und Ihre Würde. Dazu wird der „Sozialstatus“ auch noch vererbt. Wir sprechen heute schon von einem „Harz4-Adel“. Mit diesen Aussichten haben Kinder keine Chance in unserer Gesellschaft.

Und wenn wir meinen, wir könnten auf diese Schicht herabschauen, dann sollten wir mal die Augen aufmachen und uns umschauen. Die Mittelschicht driftet auseinander, ca. 20 % nach oben und 80 % treiben immer weiter nach unten ab, bis es nur noch eine Super-Oberschicht und eine Super-Unterschicht gibt.

Nun ist man ja schlau in unserem Land und gibt uns die 20 % immer als Vorbild. „Schau, was die erreicht haben. Und das nur durch harte Arbeit. Das kannst Du auch erreichen, du musst nur Deine Ellbogen einsetzen und deine angeborene Empathie verlieren (wenn sie nicht in der Schule ausgetrieben wurde). Und wenn Du das nicht schaffst: dann warst Du nicht fleißig, nicht clever, nicht robust genug. Denn es liegt immer nur an Dir – und niemals an der Gesellschaft und deiner Umgebung.“

Die Filme im TV, Kino oder auf Streamingdiensten bringen uns diese Meinung doch täglich in unsere Wohnzimmer. Du bist nichts wert, wenn Du keinen Erfolg hast. Wenn wir das nur laut und oft genug sagen, produzieren wir nur noch weitere rückgratlose Feiglinge. Wir wundern uns über die fehlende Empathie bei vielen unseren Mitbürgern, die dann gerne sich über Rettungskräfte aufregen, welche Ihnen im Weg stehen oder sogar gerne schreckliche Szenen von Unfällen für Ihren YouTube-Kanal filmen und dabei denken, das ist alles nur ein Happening, nach dem Motto: „Bei Cobra11 stehen auch wieder alle auf …“.

Selbst wir als Familie erleben, wie schwierig es heute jungen Menschen im Studium haben. Unsere Tochter studiert Germanistik und europäische Anthropologie. Meine Frau und ich kommen nicht aus studierten Familien. Da dies so ist, wurden wir gleich mal in eine Schublade gesteckt: Kinder von bildungsfernen Familien brauchen extra Förderung (welche sie natürlich nicht so einfach bekommen, das wäre ja gelacht!). Unser Kind stammt somit aus einer bildungsfernen Familie. Nur mal zum Verständnis: meine Frau und ich haben ehrenwerte Berufe gelernt, in denen wir alle Weiterbildungsmöglichkeiten in Anspruch nahmen, auf eigene Kosten und soweit es finanziell möglich war. Als unsere Kinder klein waren und wir nicht allzu viel Geld hatten, stellten wir uns oft vor folgende Wahl: Geld für Urlaub ausgeben oder eine Weiterbildung besuchen? Die Wahl fiel immer auf die zweite Möglichkeit. Wir haben unseren Kindern vorgelebt, dass Bücher lesen wichtiger ist als TV glotzen. Und trotzdem gelten wir als „bildungsferne Familie“, da keiner von uns einen Hochschulabschluss erreicht hat. Auch die Richtlinien im BAFÖG zeigen nicht auf „Fördern von abhängigen jungen Menschen“, sondern sie zeigen klar in eine Richtung: auf die „Verhinderung von Förderung“. Was man dort erlebt, ist tatsächlich oft hanebüchen. Das heißt doch im Umkehrschluss: Du kannst talentiert und begabt sein – wenn Du aus dem falschen Elternhaus kommst, hast Du keine Chance!

Oh Deutschland, wir verlieren so viele begabte Talente, so viel Kreativität und Mut, und nur, weil wir sie nicht entdecken (wollen oder können?). Wir legen diesen jungen Menschen lieber Steine in den Weg, als Ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre gläserne Decke zu durchstoßen.

Wollen wir das? Hat jemand von Euch die aktuelle Miniserie Bad Banks gesehen? Da spielen Männer – die ihre Pubertät bis ins hohe Alter pflegen – mit fremden Geld und Vermögen (Steuergelder) riskante Aktienspiele und meinen aufgrund Ihrer Ausbildung und Herkunft zu der obersten Gesellschaftsschicht – zur Elite – zu gehören. Sie diskriminieren alles um sich herum, missbrauchen und demütigen Mitmenschen nur für ihren Spaß und Vorteil. Wenn das so abgeht (und ich bin davon überzeugt), bin ich wahnsinnig froh, dass ich mich dem Mammon nicht verschrieben habe und mein ganzes Leben versucht habe von solchen Menschen allergrößten Abstand zu halten. Welch widerliche Perversität herrscht dort in den Vorständen unserer Banken und großen Firmen? Wenn das die „Elite“ ist, dann weiß ich, wohin die Gesellschaft steuert. Mir lief beim Ansehen dieser Serie immer wieder die Galle über, aber ich konnte auch nachfühlen, wie hoffnungslos die Lage in dieser Situation ist. Wenn Du nicht in die eine Richtung des Erfolges gehen willst bist Du verloren und wirst abgeschoben (ins sogenannte „Sterbehaus“). Widerlich! Und für was? Was kann so wichtig sein? Was nehmen wir in die nächste Welt mit – unsere materiellen oder unsere immateriellen Werte?

Ich bin so froh, dass meine Kinder sich nicht solchen Menschen ausliefern. Das sie gelernt haben ihre Empathie zu nutzen und auf ihren inneren Kompass zu hören. Und da sie diesen kennen, somit niemals ein würdeloses Leben führen müssen.

Das Thema „Würde“ wird in nächster Zukunft in meinen Texten eine größere Rolle spielen. Neben den Themen „Arbeit 4.0“, „gesellschaftliche Gerechtigkeit“ und „Heilung von Natur & Umwelt“ bedeutet das Wort Würde für jeden Menschen etwas anderes, aber in unserem Inneren für jeden von uns das Gleiche.

Liebe Leser, ich bitte sie, schauen Sie sich folgende Verlinkung an und unterzeichnen den Appell von Dr. Hüther. Es wird Zeit, dass wir unsere Würde wiederfinden: https://www.wuerdekompass.de/projekte/aufruf-zur-wuerde

© Holger Pangritz, Göttingen 11. März 2018


Weitere Hintergrundinformation:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mindestlohn-mindestlohn-reicht-fuer-die-meisten-alleinerziehenden-nicht-1.3463597
https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-8-maerz-2018-100.html
https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/thema-streit-um-die-tafeln-wenn-die-hilfe-nicht-fuer-alle-reicht-sendung-vom-8-maerz-2018-100.html